Kimono: ein Kleidungsstück im Wandel der Zeit

Anji Salz
Anji Salz

Mit unserem Lebensstil ist auch die Mode ein Indikator für den Wandel der Zeit. Selbst vor dem traditionellen Kimono macht dieser nicht Halt. Der Kimono hat im Laufe der Zeit große Wandlungen erfahren und wird bis heute stets neu erfunden.

Nahaufnahme von drei Obi an Frauen im Kimono.

Als Kleidungsstück hat sich der japanische Kimono im letzten Jahrhundert augenscheinlich kaum verändert. Insbesondere im Vergleich mit westlicher Kleidung wirkt der Wandel minimal und langatmig. Doch blickt man über die Jahrhunderte zurück, so zeigt sich, dass sich der Kimono stets den alltäglichen und kulturellen Ansprüchen der jeweiligen Epochen angepasst hat.

Jahreszeitliche Designs und prächtige Stoffe

Bis zur Heian-Zeit (794-1185) war der japanische Kleidungsstil stark vom chinesischen beeinflusst. Mit der Perfektionierung des Färbens und Webens von Stoffen und dem Trend hin zu eigenen Formen und Konturen begannen jedoch Familien aus der Oberschicht, ihre eigenen Stile zu tragen: den Vorreiter des heutigen Kimonos. Verstärkt wurde in dieser Periode, neben dem Handwerk, auch der Kultur und der Kunst Aufmerksamkeit zuteil. Das Aussehen gewann zunehmend an Bedeutung.

Bis heute ist diese Phase der japanischen Modegeschichte vor allem für das Gewand der Frauen am Hof bekannt: ein zwölflagiger Kimono. Als Basis dienten die lockere Robe kosode und ein langer hakama (Kimono-Rock), darüber folgten mehrere Lagen Seiden-Kimonos und eine Art Jacke. Saisonale Flora und Fauna beeinflussten die Farben und Designs der Kimonos, welche so die Jahreszeiten widerspiegelten.

Zwölflagiger Kimono.
Die Heian-Zeit ist bekannt für den prächtigen zwölflagigen Kimono der Frauen am Hof.

Die Männer am Hof trugen hingegen eine Art Pluderhose mit langem Übergewand, wie sie auch heute noch in ähnlicher Form bei shintōistischen Priestern zu sehen ist. Der restlichen Bevölkerung war das Tragen solch prachtvoller Kleidung natürlich aus praktischen Aspekten und Kostengründen nicht möglich. Gängig war damals ein aus zwei Teilen bestehendes Ensemble aus Rock bzw. Hose und kurzem Kimono. Die Unterschicht fertigte sich vermutlich Mäntel aus zusammengebundenem Stroh.

Im Verlauf des japanischen Mittelalters wurden die vielen Lagen von Seide stetig reduziert und der Kleidungsstil zunehmend „bewegungsfreundlicher“. Anstelle des heutigen obi (Gürtel) wurde der kosode nur mit einem breiten Brokatband zusammengehalten. Der zunächst nur der Oberschicht zugeschriebene, reduzierte Kleidungsstil entwickelte sich allmählich zur Alltagskleidung der Bevölkerung. Genau genommen ist der Kimono, wie wir ihn heute kennen, nichts anderes als die Unterwäsche der Prinzessinnen der Heian-Zeit.

Der Kimono wird zum Alltagsgewand

Auch in der Edo-Zeit (1603-1868) fand die Veränderung des kosode keinen Abbruch. Wachsender Reichtum und der damit einhergehende Lebenswandel der Bevölkerung steigerten die Nachfrage nach moderner japanischer Kleidung. Jeder wollte nun den eigenen Wohlstand zur Schau stellen. Neue Färbe- und Webtechniken ließen dabei keine Wünsche offen. Auch dem kosode wurde so eine Strukturveränderung zuteil: Die ursprünglich kurzen Ärmel wurden stetig länger – der Anfang des heutigen, sehr formellen furisode-Kimonos. Durch die langen Ärmel des veränderten Kimonos wurde es jedoch schwierig, den kosode mit dem bis hierhin immer dünner gewordenen Band in Position zu halten. Auch war die visuelle Balance unausgeglichen und so wurde das Hüftband wieder verbreitert.

furisode: Kimono mit sehr langen Ärmeln
Der furisode entwickwelte sich in der Edo-Zeit und zeichnet sich durch besonders lange Ärmel aus.

Einen besonderen Einfluss auf die Kleidungsstile der Bevölkerung hatte das Edo-zeitliche Kabuki-Theater. Dessen Schauspieler trugen immer die neuesten Designs und so dauerte es oft nicht lange, bis diese von der Bevölkerung nachgeahmt wurden. Wurde auf der Bühne ein breiter obi getragen, sah man diesen kurz darauf auch auf der Straße. (siehe Titelbild)

Dies führte dazu, dass die Bühnenkünstler noch breitere obi trugen und so einen neuen Modetrend für die gehobenen Haushalte setzten. Wie sonst hätte man den eigenen Reichtum besser zur Schau stellen sollen, als die unverheiratete Tochter in einem kunstvoll gefertigten, langen Kimono durch die Straßen flanieren zu lassen? Zumal die breiten obi sich natürlich nur schwer alleine binden ließen, sodass ein Angestellter zum Ankleiden benötigt wurde. Ausgefallene Bindetechniken der obi kamen in Mode und der kosode wurde zu dem, was wir heute als traditionellen Kimono kennen. Auch die Männerkleidung blieb von den aufkommenden Modeströmungen nicht unbeeinflusst. Basierend auf dem Kleidungsstil der Samurai und Kabuki-Künstler, wurden die Schultern breiter und der hakama zum festen Bestandteil des Outfits.

Der pompöse Lebensstil einiger Geschäftsleute verärgerte zunehmend die Oberschicht und die Samurai, welche dieses Privileg bisher für sich vorbehielten. Um 1700 verhängte die Regierung daher ein Verbot über die Mittel- und Unterschicht, ihren Wohlstand zur Schau zu stellen und erlaubte diesen nur noch Kimonos in den Farben Braun, Blau, Grau und Schwarz zu tragen. Dem besonderen Einfallsreichtum mancher Bürger dieser Zeit ist eine Idee zu verdanken, die bis heute die japanische Modewelt dominiert: das Verstecken teurer Stoffe und prächtiger Malereien in den inneren Lagen des Kimonos.

Die von der arbeitenden Bevölkerung getragenen Kimonos waren oft aus Baumwolle gefertigt und mit Streifenmustern versehen. Da Kimonos mittlerweile als Alltagskleidung fungierten und sich darin bewegt werden musste, wurden sie eher entspannt und locker getragen. Die Kragen waren meist das erste, das verschmutzte und wurden daher mit einem Überzug aus schwarzem Satin bedeckt, welcher einfach entfernt und gewaschen werden konnte – ein charakteristisches Merkmal des Edo-zeitlichen „Stadtmädchens“ machi musume.

Edozeitliche machi musume (Stadtmädchen) im Kimono.
Die Kimonos der "Stadtmädchen" (machi musume) aus der Edo-Zeit zeichneten sich durch einen Kragenüberzug aus schwarzem Satin aus.

Mit der Modernisierung zu neuem Leben erweckt

Die gesellschaftlichen Veränderungen der Meiji- (1868-1912) und Taisho-Zeit (1912-1926) trugen ebenfalls zum Wandel der Kimono-Mode bei. Nach der Öffnung Japans im 19. Jahrhundert brachte die Modernisierung westliche Produkte und Gedankengut ins Land. Um den neuen Geschäftspartnern aus Übersee gegenüber einen guten Eindruck zu vermitteln, wurde das Volk angehalten, den Kimono möglichst verhüllend oder gar westliche Kleidung zu tragen.

Der hakama war ursprünglich bis zur Meiji-Zeit ausschließlich Männern und dem Kaiserpersonal vorbehalten. Für den Umbruch sorgte eine Lehrerin, die sich gegen diese veraltete Denkweise durchsetzte und einen hakama für die Frau entwickelte. Dieser schaffte es sogar in den Dienst als neue Schuluniform und wurde oft mit Stiefeln und modernen Frisuren kombiniert. In dieser Periode ermöglichte der technologische Fortschritt erstmals die Massenanfertigung von Kimonos. Günstigere Herstellungskosten und Modeeinflüsse aus Übersee führten zu einer großen Variation farbenfroher und moderner Kimonos, die nun auch mit westlichen Accessoires wie Hüten, Taschen und Schuhen abgestimmt wurden.

Kimono kombiniert mit westlichen Modeeinflüssen in der Meiji-Zeit.
In der Meiji-Zeit fanden westliche Einflüsse Einzug in die Kimono-Mode. © National Diet Library

Praktische Kleidungsstücke aus dem Westen wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts in Japan immer populärer, sodass der Kimono heutzutage oft nur noch zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten, Feiern oder traditionellen Festen getragen wird. Die Kimono-Industrie hat detailreiche Regeln zum Tragen eines Kimonos aufgestellt, sodass viele diesen inzwischen als formelles und nicht alltagstaugliches Kleidungsstück sehen. Insbesondere jüngere Generationen wissen nicht, wie man einen Kimono anzieht und haben daher oft Bedenken, etwas falsch zu machen. In den letzten Jahren jedoch scheinen sich einige wieder auf ihre traditionellen Wurzeln zu besinnen und entdecken den Kimono für sich neu. Auf dem Flohmarkt oder im Second-Hand-Shop ist er oft günstig zu erstehen und die digitale Drucktechnologie haucht dem Kleidungsstück, das an Bedeutung im Alltag eingebüßt hat, frischen Atem ein.

Kimonos können inzwischen vor allem in Touristenzentren für einige Stunden geliehen werden. Von Profis angekleidet, kann man ganz entspannt einen Tag im traditionellen Gewand genießen und mit westlicher Kleidung kombiniert, sogar ein Fashion-Statement setzen.

Moderne Formen des Kimono.
Heute lässt sicher der Kimono auf ganz unterschiedliche Art und Weise kombinieren.

Der Umgang mit dem Kimono scheint offener geworden zu sein und vor allem in Tōkyō und Kyōto gibt es zahlreiche neue Designer, die der wieder wachsenden Gemeinde an Kimono-Fans moderne und bezahlbare Alternativen anbieten. Natürlich sind auch die antiken Kimonos aus dem letzten Jahrhundert sehr beliebt, ist doch jeder traditionelle Seidenkimono ein Kunstwerk für sich.

Wie wird wohl die Weiterentwicklung des Kimonos aussehen? Für das Fortbestehen des Kleidungsstücks ist die Weitergabe alter Traditionen und des Handwerks an kommende Generationen natürlich essenziell. Doch nur im steten Wandel wird der Kimono wohl für die Ewigkeit erhalten bleiben.


Dieser Artikel wurde für die Januar 2019-Ausgabe des JAPANDIGEST verfasst und für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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